Schwierige Wattrettung

2024_04

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Gleich zwei unterschiedliche Rettungsaktionen gab es an einem Samstagnachmittag an der Dithmarscher Nordseeküste. Ein Wettlauf gegen die Zeit für die Einsatzkräfte.

Während der Landung des Rettungshubschraubers schützen Einsatzkräfte die Frau vor dem wehenden Sand (Foto: FF Büsum)

Kurz nach 14.00 Uhr wurde die Freiwillige Feuerwehr Büsum (Kreis Dithmarschen, SH) am 14.  Oktober 2017 zur Tragehilfe für den Rettungsdienst gerufen. In Höhe Familienlagune bzw. Perlebucht hatte sich eine Kitesurferin verletzt.

Der Unfallort lag ca. 400  m vom Ufer entfernt und die Patientin war aufgrund einer Knie­verletzung nicht mehr gehfähig. So musste die Feuerwehr die Person auf einer Schleifkorbtrage bis zum Strand ziehen, wo der Rettungswagen bereitstand. Die Frau wurde in die Westküstenklinik gebracht. Die Feuerwehrleute glaubten hier schon, ihre gute Tat sei für den Tag vollbracht.

Eine weitere Alarmierung

Doch gerade als man die Ausrüstung wieder grob gereinigt hatte und im Begriff war, in das Feuerwehrhaus einzurücken, meldete sich die Feuer- und Rettungsleitstelle West, dass ihre Hilfe noch einmal in Hedwigenkoog benötigt würde. Eine Person sollte dort im Watt feststecken.

Die Freiwillige Feuerwehr Büsum fuhr sofort am Deich entlang etwa 6  km weiter bis zur Badestelle Westerkoog. Hier machten Personen draußen im Watt auf sich aufmerksam. Die Unglücksstelle befand sich über 500  m vom Deich entfernt. Die in Not geratene 48-jährige Frau steckte bereits etwa eine Stunde fest, bis schließlich der Notruf ab­gesetzt wurde. Bei ihr befanden sich ihr Mann und die Tochter, da man zusammen Urlaub an der Nordsee machte.

Tücken des Watts

Die Kameraden machten sich mit Gerätschaften zur Rettung aus dem Watt auf den Weg zur feststeckenden Person. Bereits auf dem Hinweg hatten die Rettungskräfte selbst erhebliche Pro­bleme, überhaupt voranzukommen, da der Wattboden hier besonders schlickige Stellen aufwies. Als die ersten Helfer direkt vor Ort waren, entwickelte sich die Situation noch dramatischer. Rund um die feststeckende Person war das Watt so schlickig, dass sich die Feuerwehrleute selbst in eine lebens­gefährliche Situation brachten. „Wir sackten immer wieder selbst im Watt ein, was erheblich viel Kraft kostete. Dazu hatten wir noch Druckluftspül­lanzen, Leitern, Schleifkorbtrage, Leinen usw. dabei, um die Frau zu befreien“, so Feuerwehrsprecher Jens Albrecht.

Trotzdem gelang es den Feuerwehrleuten, sich bis zu der Frau vorzuarbeiten, die mittlerweile schon Anzeichen einer Unterkühlung zeigte. Auch das Zeitfenster für die Befreiung wurde immer ­kleiner, denn schon bei der ersten Wattrettung
am Nachmittag wusste man, dass die Flut bereits ­eingesetzt hatte. Zudem fand die Rettungsaktion noch direkt hinter einem Priel im Mündungs­bereich zur offenen See statt.

Rettungsaktion

Bei der Befreiung der Frau kam auch die vor einigen Jahren selbst gebaute Druckluftspüllanze zum Einsatz (siehe Kasten). Nach einiger Zeit hatte man es geschafft, die entkräftete Frau, die bis zu den Oberschenkeln eingesackt war, zu befreien und auf eine Schleifkorbtrage zu legen.

Unterstützung kam inzwischen von der FF Hedwigenkoog, die sich ebenfalls mit einigen Kameraden auf den Weg hinaus zur Unglücksstelle gemacht hatte. Mit vereinten Kräften zog man die Trage, bis man festeren Wattboden erreicht hatte.

Es wurde schon bei der Rettungsaktion deutlich, dass man es nicht schaffen würde, die Gerettete zu Fuß durch das Watt bis an den Strand zu transportieren. Darum war ein Rettungshubschrauber mit alarmiert worden. Dieser kam vom Flugplatz St.-Peter-Ording, wo der NHC Rettungshubschrauber für Notfälle in den Offshore-Windparks stationiert ist. Er konnte etwas nördlich direkt auf festerem Wattboden landen und die gerettete Person aufnehmen. Diese wurde auch sofort in das Westküstenklinikum geflogen.

Der Mann und die Tochter wurden zwischenzeitlich von einigen Einsatzkräften der Feuerwehr begleitet über den Fußweg zum Strand in Sicherheit gebracht. Schließlich machten sich die Retter samt Ausrüstung auf den erschwerten Rückweg durch das schlickige Watt. Ein Feuerwehrmann aus Büsum erlitt ca. 100  m vor dem sicheren Deichfuß einen Kreislaufzusammenbruch und musste von noch am Strand verbliebenen Einsatzkräften versorgt werden. Er wurde mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.

Am Abend kam dann die Rückmeldung aus dem Krankenhaus: Die Gerettete und der Feuerwehrmann waren wohlauf und konnten das Krankenhaus wieder verlassen.

Infobox Druckluftspüllanze

Die Druckluftspüllanze wurde von den Kameraden der Feuerwehr Büsum selbst entwickelt und gebaut. Als Basis dienen normale Atemschutzgeräte. Die Mitteldruckleitung wird am Kupplungsstück abgemacht und ein normaler Luftschlauch mit der Lanze angekuppelt.

In den 1970er- und 1980er-Jahren nahm man bei Einsätzen im küstennahen Bereich neben Leinen, Leitern, Schaufeln usw. auch eine Pumpe (TS 2/5) mit ins Watt, um die Person dann frei zu spülen. Um mobiler zu sein, entwickelte man in den 1980er-Jahren eine spezielle Spüllanze mit D-Kupplung für die Kübelspritze, die bis heute immer wieder verbessert wurde.

Die neue Erfindung

Vor einigen Jahren haben die Büsumer das Wattrettungsproblem erneut aufgegriffen, um noch effektiver und vor allem schneller helfen zu können. Denn wenn die Flut einsetzt, bleibt den Rettern oft kein großes Zeitfenster.

Die Idee kam auf, mit Druckluft jemanden im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Schlick zu pusten. Was liegt da bei der Feuerwehr näher als ein Atemschutzgerät. Hierfür bastelten die Büsumer einen passenden 4  m langen Druckluftschlauch mit Abstellventil und einer dünnen ca. 1,2  m langen Luftlanze, die das Kernstück der Erfindung bildet. Mit dem Atemschutzgerät auf dem Rücken können die Einsatzkräfte gut die manchmal über Kilometer lange Strecke, die über das Watt zu Fuß zurückgelegt werden muss, überwinden. Die dünne Lanze aus Kupferrohr kann bei Bedarf in den Wattboden gesteckt werden. Die Druckluftzufuhr wird mittels eines Ventilhahns dosiert, welcher am Ende der Lanze vor dem Zuluftschlauch montiert ist.

Die ausströmende Luft aus dem Atemschutzgerät bewirkt, dass der Boden in der Umgebung der zu rettenden Person blubbert und dem Sog entgegengewirkt. Der Boden wird praktisch durch die Luft aufgelockert und die Sogwirkung damit beseitigt. Anschließend lässt sich die Person leichter aus dem Matschloch ziehen. Mittlerweile wurden mithilfe des Gerätes schon mindestens drei Menschenleben gerettet.

Das Wattenmeer

Das Wattenmeer der Nordsee ist eine im Wirkungsbereich von Ebbe und Flut liegende, etwa 9.000  km² große, 450  km lange und bis zu 40  km breite Landschaft entlang der Küste. Bei Niedrigwasser fällt der Grund frei. Dies wird als Watt bezeichnet. Zweimal am Tag wird es während des Hochwassers überflutet und fällt bei Niedrigwasser wieder trocken. Dabei fließt das Wasser oft durch tiefe Ströme (Priele) ab. Der zeitliche Abstand zwischen einem Hoch- und einem Niedrigwasser beträgt ungefähr sechs Stunden. Fast das gesamte Wattenmeer steht unter Naturschutz.

Gefahren im Wattenmeer

Während des Niedrigwassers ist das Wattlaufen eine Attraktion, beispielsweise im Nordseeheilbad Büsum, und eine an für sich sehr gesunde Angelegenheit. Viele Touristen und Einheimische wandern in den Sommermonaten während der Ebbe sorglos durch das ca. alle 6  h trockenfallende Watt vor dem Hauptstrand des Nordseeheilbads Büsum.
Einige geraten dabei aber plötzlich an eine sehr weiche Stelle (Schlick) und sacken ein. ­Andere machen sich einen Spaß daraus, mit den Beinen zu wackeln und im Wattboden ­einzusacken. Man schafft es aber oft nicht aus eigener Kraft, sich zu befreien. Je mehr man sich bewegt, desto mehr versinkt man im matschigen Boden an diesen Stellen. Hierbei ­geraten viele in Panik, wenn sie plötzlich nicht mehr herauskommen. Weiterhin besteht die Gefahr, dass man schnell unterkühlt und kraftlos wird.

J. Albrecht

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