DRK: Deutschland besser auf Katastrophen vorbereiten

2024_04

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Deutschland steht vor neuen Herausforderungen im Bevölkerungsschutz und Zivilschutz. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach darüber mit DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt.

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt (Foto: DRK)

Das Rote Kreuz hilft nicht nur einzelnen Menschen in Notfällen, sondern hat ebenso große Herausforderungen und Katastrophen im Blick. Auf welche solcher Situationen stellen Sie sich ein, Frau Hasselfeldt?

Gerda Hasselfeldt: Die jüngste besonders große Herausforderung war für uns die Flüchtlingskrise, in der es ohne viel Vorbereitungszeit um Unterbringung und Fürsorge für eine große Zahl von Menschen ging. Allein das DRK hat 2015 und 2016 bundesweit zeitweilig 490 Notunterkünfte und zwei Warteräume in Bayern mit insgesamt 200.000 Flüchtlingen betreut. Gleichzeitig haben wir es weltweit und in Deutschland ebenso mit einer zunehmenden Zahl von Naturkatastrophen im Zuge des Klimawandels zu tun, auch mit Hochwasser und Extremwettersituationen. In einer kleiner werdenden Welt erreichen uns zudem Epidemien schneller als früher, ich erinnere an die Ebola-Krise. Schließlich ist unsere Infrastruktur, zum Beispiel Krankenhäuser, Strom- und Wasserversorgung, durch Cyberattacken bedroht. Für all diese Fälle müssen die Hilfsorganisationen zusammen mit dem Staat vorsorgen, mehr als bisher.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?

Hasselfeldt: Das Deutsche Rote Kreuz hat gemeinsam mit dem Arbeiter Samariter Bund, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Johanniter Unfallhilfe und dem Malteser Hilfsdienst ein Konzept zum nationalen Krisenmanagement erarbeitet, das das Zivilverteidigungskonzept des Bundesinnenministeriums ergänzen soll. In der Flüchtlingskrise waren auch die Hilfsorganisationen von der Dimension der Herausforderung überrascht. Wir hatten kein gemeinsames Konzept, auf das wir zurückgreifen konnten.

Wieso eigentlich nicht?

Hasselfeldt: Mitte der neunziger Jahre, als der Kalte Krieg vorüber war und die große Flüchtlingswelle der frühen neunziger Jahre ebenfalls, wurden viele Kapazitäten abgebaut, vor allem die bis dahin vorhandene sogenannte Bundesvorhaltung. Das geschah im Einverständnis von Staat, Hilfsorganisationen und Gesellschaft. Man glaubte, das Material für Krisenfälle und die entsprechenden Strukturen würden nicht mehr in dem bisherigen Umfang gebraucht. Das Deutsche Rote Kreuz schaffte damals Kapazitäten zur Versorgung von 30 000 Menschen ab.

Das war ein Fehler?

Hasselfeldt: Ein einfaches Beispiel: Als uns die Flüchtlingskrise überraschte, gab es auf dem europäischen Markt keine Feldbetten mehr. Die mussten wir uns in Kanada und den USA besorgen. Es wäre besser, wir hätten Vorräte. Das Innenministerium hat 2016 unter der Führung von Thomas de Maizière ein neues Zivilschutzkonzept vorgelegt und wir als Hilfsorganisationen wollen unseren Teil dazu beitragen, diesem Konzept gerecht zu werden. Das Deutsche Rote Kreuz als größte der fünf Organisationen hat die Federführung.

Was genau schlagen Sie vor?

Hasselfeldt: Wir planen, zehn Materiallager in Deutschland zu befüllen, etwa mit Betten, Zelten und medizinischen Produkten. Das soll mit Hilfe des Bundes geschehen, aber die Länder sollen Zugriff haben. Die Hilfsorganisationen wollen die Lager betreuen und dafür sorgen, dass das Material ständig in einwandfreiem Zustand und abrufbar ist. Das Material soll jeweils für 5000 Menschen ausreichen, insgesamt also für 50 000. Der Bund soll ebenfalls in die Lage versetzt werden, eigene Betreuungseinrichtungen mit einer Gesamtkapazität von 15 000 Personen für drei Monate zu betreiben. Das ist ein Vorschlag der fünf Hilfsorganisationen. Verlangen können wir das ja nicht. Aber die Gespräche darüber sind schon vorangeschritten.

Mit welchen Kosten rechnen Sie?

Hasselfeldt: Insgesamt haben wir anfängliche Gesamtkosten von 109 Millionen Euro errechnet.

Werden die im nächsten Haushalt schon auftauchen?

Hasselfeldt: Da wir bisher noch keine neue Regierung hatten, haben sich die Gespräche etwas verzögert. Wir werden das hoffentlich in nächster Zeit klären und den finanziellen Bedarf im Haushalt berücksichtigen können.

Sie haben doch jetzt einen kurzen Draht ins Ministerium, wo ihr Parteivorsitzender Horst Seehofer Minister wird. Haben Sie mit ihm schon über ihr Vorhaben gesprochen?

Hasselfeldt: Noch nicht. Alles der Reihe nach.

Reicht es denn, sich auf unbestimmte Krisen mit Zeltlagern und Betten einzustellen?

Hasselfeldt: Wir haben beim Deutschen Roten Kreuz auch ein mobiles Infektionshospital, das als Konsequenz aus der Ebola-Krise in Westafrika beschafft wurde und das schnell verlegt und aufgebaut werden kann. In Deutschland gibt es an den Krankenhäusern rund 50 Betten für derart schwere Infektionskrankheiten. Damit gehören wir zwar in Europa zu den Spitzenreitern, aber im Falle eines Ausbruchs muss man auf zusätzliche Maßnahmen vorbereitet sein und vorhandene Kapazitäten mit Katastrophenschutzstandards ergänzen

Bei dem Ebola-Ausbruch in Afrika gehörte Deutschland zu den Ländern, die eher langsam reagiert haben; am Ende musste die Bundeswehr dorthin ausrücken. Wäre es nicht besser, schneller dort auf gefährliche Epidemien zu reagieren, bevor sich die Erreger bei uns im Inland ausbreiten können?

Hasselfeldt: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat in dem besagten Liberiaeinsatz das DRK unterstützt. Aus diesem gemeinsamen Einsatz erwuchs eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen. Auf dieser Grundlage ist es wichtig, gerade jetzt zu reagieren, wo wir in jüngster Zeit viele Erfahrungen mit Krisenszenarien gemacht haben. Wir haben nicht nur zu wenig Material auf Vorrat. Wir müssen auch aufpassen, dass uns zudem nicht zu viel Know How verloren geht.

Bei der Bundeswehr hat seit den neunziger Jahren ebenfalls ein Abbau stattgefunden. Waren wir zu blauäugig in der Einschätzung der Krisen, die uns drohen?

Hasselfeldt: Das hängt miteinander zusammen. Das Konzept der zivilen Verteidigung ist aus dem jüngsten sicherheitspolitischen Weißbuch des Verteidigungsministeriums heraus entwickelt worden.

Als Innenminister de Maizière das Konzept der zivilen Verteidigung vorstellte, erwähnte er den Roman „Blackout“, in dem ein durch Cyberangriffe bewirkter Ausfall der Stromversorgung zum Bürgerkrieg führt. Wie weit reicht Ihre Phantasie?

Hasselfeldt: Ich will keine Schreckensszenarien zeichnen. Aber ich glaube schon, dass es nötig ist, mit einer Hausnummer zu beginnen. Und die lautet im Falle der zivilen Verteidigung: Vorsorge für die provisorische Unterbringung von einem Prozent der Bevölkerung in Deutschland, also von rund 800.000 Menschen.

Das entspricht in etwa der Zahl der im Jahr 2015 aufgenommenen Flüchtlinge?

Hasselfeldt: Ob das Zufall ist, müssen Sie das Bundesinnenministerium fragen.

Das Deutsche Rote Kreuz stützt sich auf 400.000 freiwillige Helfer. Gelingt es ihnen eigentlich, diese Zahl in Zukunft zu halten?

Hasselfeldt: Seit 2010 ist diese Zahl sogar leicht gestiegen, von 395 000 auf derzeit 415 000, trotz der gesellschaftlichen Situation, in der wir leben. Denn ehrenamtliches Engagement über längere Zeit mit einer festen Bindung an eine Organisation wird eher seltener, im Vergleich zu freiwilligen Tätigkeiten, die spontan und anlassbezogen entstehen, also etwa in einem Helferkreis für eine Flüchtlingsunterkunft.

Seit dem Ende der Wehrpflicht gibt es keinen verpflichtenden Gemeinschaftsdienst mehr für junge Leute. Wäre es sinnvoll, eine zivile Dienstverpflichtung zu schaffen, auch um das gesellschaftliche Bewusstsein für Krisenszenarien und die nötigen Reaktionen darauf zu schärfen?

Hasselfeldt: Der Einführung eines allgemeinen Pflichtdienstes steht das Grundgesetz entgegen: dort ist eine solche Dienstverpflichtung auf den Verteidigungsfall und den Zivilschutz beschränkt. Aber davon unabhängig sind der Bundesfreiwilligendienst und das Freiwillige Soziale Jahr ganz wichtige Möglichkeiten, um jungen Menschen zu zeigen, in welcher Vielfalt gesellschaftliches Engagement möglich und nötig ist. Oft werden dadurch die Fundamente für eine spätere ehrenamtliche Tätigkeit oder einen Beruf gelegt. Ich plädiere dafür, dass die Stellen für diese Dienste in großem Umfang weiter erhöht werden. Wir sind beim DRK der größte Anbieter von Plätzen für die Freiwilligendienste, es sind insgesamt rund 15.000, und die Nachfrage von Bewerbern übersteigt unsere Angebote um mehr als das Doppelte

DRK/FAZ 9.3.2018

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