Höhere Baukosten durch Brandschutz?

2024_05

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In einem Statement anlässlich der Pressekonferenz zur Eröffnung der Feuertrutz im Februar und in seinem Vortrag setzte sich Prof. Dr. Michael Rost (Hochschule Magdeburg Stendal) kritisch mit der Situation des vorbeugenden Brandschutzes auseinander. Wie gerechtfertigt sind die Vorwürfe? Warum gerade jetzt? Wohin soll es in Zukunft gehen?

Prof. Dr. Michael Rost auf der Feuertrutz in Nürnberg im Februar 2018 (Foto: Nürnberg Messe/Thomas Geiger)

Höhere Baukosten entstehen nicht durch den Brandschutz (wie viele Schlagzeilen suggerieren), sondern durch Ingenieure, Planer und Behörden, die den Brandschutz aus Mangel an Fachkenntnissen nicht optimal umsetzen und genehmigen. In den letzten 30 Jahren sind die Brandschutzanforderungen im Baurecht erheblich reduziert worden. Es gibt nur einzelne Verschärfungen, wie zum Beispiel die Einführung der Rauchmelderpflicht in Wohnungen und die Selbstschließer von Wohnungstüren zu Treppenräumen. Alles andere sind zum Teil erhebliche Absenkungen der Anforderungen. Gleichzeitig haben sich die Brandrisiken erheblich erhöht, wie ein höherer Kunststoffanteil in Wohnungen, energieeffiziente Haustechniklösungen, die zu wesentlich schwieriger beherrschbaren Bränden, wie zu einem früheren Eintritt des Flash-Overs zu führen.

Durch den demografischen Wandel wird die Einsatzbereitschaft der Feuerwehren vor allem auf dem flachen Land und am Tage zunehmend eingeschränkt. Das führt dazu, dass bauliche und anlagentechnische Brandschutzanforderungen eigentlich erhöht werden müssten, um das gesellschaftlich akzeptierte Risiko von max. 10 Brandtoten pro 1 Mill. Einwohner und Jahr zu dauerhaft erhalten. Die bestehenden Sicherheitsreserven werden kleiner. Das verlangt zunehmend einen risikobasierten ingenieurmäßigen Brandschutz, Brandschutzingenieurwesen, Fire Safety Engineering (FSE), wie das in vielen Nachbarstaaten betrieben wird.

In Deutschland hingegen wird der Brandschutz heute und seit über 30 Jahren massiv unterschätzt, weil der Brand ein relativ seltenes Ereignis ist. In der Vergangenheit hat man in Deutschland den Brandschutz mehr oder weniger auf die Feuerwehren abgewälzt, die die meisten Probleme im Rahmen des abwehrenden Brandschutzes mit riesigem Engagement gelöst haben. Brandschutzausbildung für Bauingenieure und Architekten fand nicht statt. (Ein Baukonstruktionsprofessor hat noch in den 1990er-Jahren zum Vorschlag, Brandschutz in die Architekten- und Bauingenieurausbildung zu integrieren gesagt: „Brandschutz brauchen wir nicht, das macht der Architekt selbst und, wenn es Probleme mit dem Brandschutz gibt, fragen wir die Feuerwehr“.)

Die heutige Unterschätzung des Brandschutzes zeigt sich an einer überzogen baurechtlichen Betrachtung des Brandschutzes statt einer Ausweitung des FSE, insbesondere durch Architekten und bestimmte Behörden mit nicht ausreichender Fachkenntnis. Brandschutzingenieurwesen wird nicht als Ingenieurdisziplin, sondern als Randproblem des öffentlichen Baurechts betrachtet, was jeder kann. Ein Hauptproblem und Fehlerquelle (weil hauptsächlich baurechtlich betrachtet): Die Verwendung von Checklisten als Brandschutznachweis, wobei dies als „Abhaken“ von Einzelparagraphen der Bauordnung etc. verstanden wird.

Das Problem ist: Fast zwei Drittel aller Brandschutznachweise werden von Architekten erstellt. Die meisten Architekten haben in ihrer Ausbildung nie Mathematik- oder Brandschutz gehört. Es hängt also alles an der Weiterbildung im Brandschutz. Aber, kann die das leisten? Man stelle sich vor: Der übergroße Anteil von Statiknachweisen für Gebäude würde von Design-Absolventen gemacht, die nie etwas von Statik, Mathematik oder Physik in ihrer Ausbildung hatten und sich nur über Weiterbildung qualifiziert haben. Es gäbe einen riesen Aufschrei! Im Brandschutz selbstverständlich.

Eine Reihe von Untersuchungen an der Hochschule Magdeburg-Stendal haben gezeigt: Ein Großteil der Brandschutznachweise ist nicht oder nur mit erheblichen Auflagen genehmigungsfähig (1). Folgen sind Zusatzplanungskosten und Zeitverzug bei der Realisierung. Das Ergebnis sind oftmals suboptimale Brandschutzlösungen in der Planung. Das heißt nicht, dass es nicht auch Architekten gibt, die mit entsprechender Zusatzqualifikation genehmigungsfähige BS-Nachweise erstellen, aber der Anteil ist überschaubar.

In einer Situation, in der in Vorschriften die Brandschutzanforderungen reduziert werden, gleichzeitig aber höhere Brandrisiken entstehen und gleichzeitig die Fachkompetenz eingeschränkt ist, kommt es bei einer knallharten renditeorientierten Unternehmensphilosophie und Sparfetischismus in den öffentlichen Haushalten zunehmend zu Überschreitung des vertretbaren, zu einem Nichteinhalten der gesellschaftliche akzeptierten Risikogrenzwerte des Brandschutzes wie auch zu unsinnig überzogenen Anforderungen.

Dabei wird von Firmen und Interessenverbänden immer stärker Einfluss auf Planer, Behörden und Normungsgremien genommen, um Spar- oder Renditeinteressen durchzusetzen. Wo der Brandschutz damit kollidiert, wird versucht, Normen weiter abzusenken oder die Unkenntnis von Behörden und Planern zu nutzen, um mit überzogenen Anforderungen Renditemaximierung zu erreichen. Beispiele für letzteres sind die Lobbyarbeit der Haustechnikhersteller, den Einsatz von Wohnungssprinklern durch besonders harte Hygieneanforderungen zu blockieren oder für ersteres die Wohnformen-Richtlinie oder die Vorschläge zur Reduzierung Brandschutzanforderungen an Treppenräume („Sicherheitstreppenraum-Iight“). In der derzeitig immer stärkeren Fokussierung auf Rendite (ich nenne es Renditediktatur) wird versucht, ohne ausreichende Untersuchungen oder Berechnungen das Brandschutzniveau abzusenken, um andere Kostenerhöhungen (zum Beispiel aus der innerstädtischen Bodenspekulation) zu kaschieren und dem Brandschutz den schwarzen Peter für z. B. Mietsteigerungen, die eigentlich ganz andere Ursachen haben, zuzuschieben. Beispiel: Brandschutzniveauabsenkung für Alten- und Pflegeeinrichtungen, siehe z. B. Wohnformen-Richtlinie. Hinsichtlich der BS-Niveau-Absenkung lohnt ein Blick ins Ausland: Grenfall-Tower: Wäre dieses Ereignis auch in Deutschland möglich gewesen? Ja und nein!

  • Genehmigungsfähig wäre das in Deutschland nicht (Fassade, Rettungsweglösung, fehlende automatische Feuerlöschanlage).
  • In der Bauüberwachung hätte man die Mängel ab ca. 2000 wahrscheinlich bemerkt. (Deutschland hat als eines der wenigen Länder weltweit eine sehr gute Brandschutzbauüberwachung, wie ein Expertengespräch im letzten Jahr auf der lAFSS-Konferenz in Schweden ergab.)
  • In Brandschauen wären vor 20 Jahren die Rettungswegprobleme aufgefallen, auch Haustechnikmängel wie im Dortmunder Hochhaus, was jüngst leergeräumt werden musste.

Insgesamt aber hat Deutschland im internationalen Vergleich keineswegs die höchsten Brandschutzaufwendungen beim Bauen. Deutschland liegt eher im Mittelfeld, ist keineswegs Spitze: ca. 2 bis 3 % der Baukosten. Dabei ist zu beachten, dass durch den großen Anteil der freiwilligen und anderen Feuerwehren ein Teil der Brandschutzkosten sozialisiert ist, anders als im angelsächsischen Raum, wo die Aufwendungen für Baumaßnahmen z. B. durch mehr anlagentechnischen Brandschutz das Brandschutzingenieurwesen viel mehr auf Sprinkler etc. setzt.

Die Unterschätzung des Brandschutzes ist bis heute Realität. Die heute konsequentere Umsetzung und Kontrolle von sinnvollen Brandschutzanforderungen (es gibt auch unsinnige und überzogene) stößt auf viel Frust, weil es historisch in Deutschland ungewohnt ist.

Eigentlich bräuchte man eine umfassende Novellierung des gesamten Brandschutzrechts, weg von präskriptiven Vorgaben- wie in Deutschland zurzeit, hin zu Ingenieurmethoden des Brandschutzes- wie dies mit ersten kleinen Schritten erfolgt ist, siehe DIN 18009. Mein (etwas provokanter) Vorschlag: Jedes (nicht einfache Wohn)-Gebäude wird als ungeregelter Sonderbau betrachtet.

Entscheidend ist, dass bei diesem ingenieurmäßigen Vorgehen baulicher, anlagentechnischer, abwehrender und organisatorischer Brandschutz als Einheit bewertet werden müssen. Das ist unter dem Begriff „ganzheitlicher Brandschutznachweis“ ohnehin gefordert, wird jedoch insgesamt viel zu wenig realisiert. Sogenannte semi-quantitative Bemessungskonzepte, wie sie zum Beispiel in der Schweiz (2) teilweise angewendet wurden, würden zum Beispiel in Deutschland die Möglichkeit bieten, Kompensationen für Abweichungen oder Erleichterungen im Baugenehmigungsverfahren einfacher begründen zu können. Auch könnte zum Beispiel die tatsächliche Leistungsfähigkeit der örtlichen Feuerwehr quantitativ berücksichtigt und bei zum Beispiel nichtausreichender Tageseinsatzbereitschaft mit höheren Anforderungen an den baulichen, anlagentechnischen oder betrieblichen Brandschutz ausgeglichen werden. Beispielsweise könnten sich für Kommunen, in denen die örtliche freiwillige Feuerwehr von der Politik nicht ausreichend unterstützt wird, die Möglichkeit ergeben, über höhere Anforderungen im Baugenehmigungsverfahren Druck  auszuüben, da sich ansonsten die Ansiedlungsbedingungen für Industrie, Gewerbe aber auch z.B. Pflegeinrichtungen erschweren. Entscheidend ist die quantitative Verknüpfung und damit die Möglichkeit der gegenseitigen Anrechenbarkeit unterschiedlicher Brandsicherheitsmaßnahmen.

Das geht aber nur, wenn wir ausreichend Brandschutzfachleute in Verwaltung und Industrie haben. Eine Untersuchung aus dem Worcester Polytechnic Institute (WPI) 2007 (3) ergab Empfehlungen für eine viel stärkere Fachingenieursausbildung im Brandschutz, die mit risikoadäquaten Ingenieurmethoden sinnvolle Brandschutzlösungen schafft. Also nicht nur Quereinsteiger, die Brandschutz als Zusatzqualifikation mal so eben mit machen. Ergebnis sollten auch Fachleute bei Feuerwehren sein, die mehr als jetzt in der Lage sind, den Brandschutz bei Brandschauen sinnvoll zu bewerten.

Dazu gehört auch, dass die Nutzung des Gebäudes, damit intensive Brandsicherheitsschauen, vielmehr Bestandteil des Gesamtsicherheitskonzeptes von Gebäuden wird.

Mittelfristig wird es nur mit solchen und ähnlichen Ansätzen  des Brandschutzingenieurwesens möglich sein, sinnvolle, kostengünstige Lösungen bei Brandschutznachweisen zu erarbeiten, die aktuelle demografische Entwicklungen und veränderte Brandszenarien berücksichtigen und so die quantitativen Schutzziele des Brandschutzes dauerhaft zu gewährleisten.

Quellen:

(1) z. B.: Rost, M.; Kutz, St.: „Untersuchungen zur Qualität der Brandschutznachweise im Baugenehmigungsverfahren“, Feuertrutz 5 (2014) S.  Feuertrutz-Verlag Köln; Geier, T.: „Untersuchung der Umsetzung der Brandschutzmaßnahmen im Baugenehmigungsverfahren im Freistaat Bayern“, Masterarbeit Hochschule Magdeburg-Stendal, 2014

(2) „Bewertung Brandabschnittsgrößen“, 115-03d, Verband der kantonalen Feuerversicherungen AEAI 2003 (außer Kraft)

(3) “A proposal for a Model Curriculum Fire Safety Engineering”, Fire Safety Journal, IAFSS special Issue 2007, Worcester Polytechnic Institute (US)

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