Überflüssige Elektronik?

2024_04

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Beherrschen wir noch die Technik oder ­beherrscht die Technik bereits uns? Sind die technischen Möglichkeiten der Elektronik, die die Industrie den Feuerwehren anbietet, sinnvoll oder überflüssig? Sollten die Feuerwehren „back to basics“ gehen?

Wenn die elektronische Steuerung ausfällt, müssen häufig Abdeckungen demontiert werden, um an die mechanischen Bedienelemente zu gelangen. (Foto: Udo-Helmut Herrmann)

Stellen Sie sich folgende Situation vor oder vielleicht haben Sie das Geschilderte so oder ähnlich schon einmal selbst erlebt: Ein gewöhnlicher Standard-Wohnungsbrand, beispielsweise in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen. Die Alarmmeldung an die Einsatzkräfte lautet: „Feuer  2, brennt Wohnung 5.  OG in der Florianstraße  1, Menschenleben in Gefahr“. Es rücken aus: ELW  1, HLF  20-1, DL  23-1, RTW und NEF von der Feuerwache  2 das HLF  20-2 und weitere Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr als Unterstützungseinheit.

Die Fahrzeuge der Feuerwache  1 treffen zeitgleich an der Einsatzstelle in der Florianstraße  1 ein, vom HLF  20-1 wird sofort ein Löschangriff gemäß Feuerwehr-Dienstvorschrift (FwDV) aufgebaut und in Betrieb genommen. Der Angriffstrupp, ausgerüstet mit Pressluftatmern, geht zur Menschenrettung und Brandbekämpfung in das Gebäude vor. Der Sicherheitstrupp befindet sich ausgerüstet nach FwDV in Bereitschaft am Verteiler vor dem Gebäude. In der Zwischenzeit wird durch die restlichen Einsatzkräfte die Wasserversorgung aufgebaut und die Drehleiter ist in Anleiterbereitschaft gebracht. Alle weiteren Einsatzfahrzeuge haben sich in dem Bereitstellungsraum auf der Zufahrtsstraße zur Florianstraße ordnungsgemäß aufgestellt. Ein Bereitstellungsraum für eventuell nachrückende weitere Einsatzkräfte wurde durch die Einsatzleitung definiert.

Ein ganz gewöhnlicher Einsatz, wie er täglich in Deutschland durch Feuerwehren abgearbeitet wird!

Aber: Wenn da nicht ein plötzlicher Ausfall der Pumpensteuerung an dem neuen High-Tech-Fahrzeug HLF  20-1 der Feuerwache  1 passiert wäre. Die Wasserförderung zum Löschangriff bricht plötzlich und unerwartet zusammen. Der Maschinist ist ein erfahrener Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr. Schlagartig bricht unter den Einsatzkräften Hektik aus. Abweichungen vom Standard! Jetzt geht nix mehr! Notbetrieb lautet nun das Programm, das zu fahren ist!

Notbetrieb: Alles wieder manuell und von Hand! Um Himmels willen! Handbetrieb, das perfekte Chaos. Hektisch werden Verkleidungsteile demontiert und die Druckluft der pneumatischen Schaltanlage wird abgelassen. Wo ist der verdammte Schlüssel für die Notbedienung der Drehklappen oder der Zylinder. Wie geht das nochmal? Alles im Stress des Einsatzgeschehens und immer mit dem Wissen im Hinterkopf: „Es geht um Menschen­leben“. Schnell, jetzt aber schnell. Der Angriffstrupp funkt zur Atemschutzüberwachung: kein Wasser! Der Gruppenführer schreit: Wo bleibt das Wasser?

Redundanz lautet das Schlagwort: Das HLF  20-2 sofort zum Einsatz bringen. Wertvolle Sekunden und Minuten gehen verloren.

Kann der Maschinist diese Situation mit den heutigen High-Tech-Performance-Pumpensteuerungen sofort wieder in den Griff bekommen? Unter Umständen ja. Vielleicht aber auch nicht.

In vielen Situationen wird es der Maschinist schaffen, trotz des Ausfalls der Pumpensteuerung, die Wasserförderung ohne größere Unterbrechung weiter zu betreiben.

Aber das ist leider nicht mehr so selbstverständlich!

Notbetrieb oder normaler Betriebszustand?

Das ist die Frage aller Fragen. Wenn es die, doch so verspielte, arbeitserleichternde Elektronik nicht geben würde, dann würde es auch keinen Notbetrieb geben. Das Schlagwort würde dann Normalbetrieb lauten. Die Tätigkeit des Maschinisten ist und bleibt bei der Feuerwehr immer eine Schlüsseltätigkeit, egal ob es bei einem Löscheinsatz, der technischen Hilfeleistung oder bei einem anderen Einsatzgeschehen ist. Dreh- und Angelpunkt ist unser Arbeitsgerät.

Zu hohe Anforderungen?

Die heutigen Bediensteten der Feuerwehren müssen nicht nur gute Feuerwehrleute sein oder im Rettungsdienst absolut fehlerfrei funktionieren, sondern müssen auch Spitzensportler, Höhenretter und noch ­Vieles mehr sein. Zusätzlich müssen sie sich auch in einer hoch komplizierten Welt der Elektronik und Steuerungstechnik zurechtfinden. Eine automatische Pumpendruckregelanlage, automatische Druckabgänge oder Wasserzuführungen, die das Tankniveau halten, Kavitationsschutzeinrichtungen, die funktionieren im Tanksaug- und im Fremdsaugbetrieb mit und ohne Schaum und, und, und … Das gehört mittlerweile leider zu den Standardausführungen der Feuerwehrfahrzeuge. Der Verspieltheit der Industrie sind hier leider keine Grenzen gesetzt.

Was ist wirklich nützlich?

Fragt man die Industrie „Brauchen wir das als Feuerwehr wirklich, warum baut ihr das denn so?“, bekommt man immer die gleiche Antwort: „Ihr als Feuerwehr wünscht das doch!“

Wünschen oder wollen wir als Feuerwehren das wirklich? Oder sind es vielleicht nur einige wenige verspielte „Feuerwehrpäpste“, die sich so etwas einfallen lassen?

Hört man sich an der Basis der „kämpfenden Truppe“ um, so bekommt man einheitlich immer eine ganz andere Auskunft als von der Industrie und den Herstellern. Die Aussagen sprechen in aller Regel die gleiche Sprache:
„Das brauchen wir nicht.“, „So ein Schnickschnack macht alles nur viel zu kompliziert, kostet Geld und ist viel zu anfällig im täglichen Einsatzbetrieb.“, „Früher haben wir das auch alles ohne Automatik und Elektronik gemacht.“

Früher war alles besser? Nein, bestimmt nicht! Das kann man nicht pauschalisieren. Dort, wo eine Automatisierung uns Betriebssicherheit oder Ausfallsicherheit und Sicherheit im Arbeitsschutz bietet, bleibt der Einzug der High-Tech-Elektronik unumstritten. Alles, was sicherheitsrelevant ist und zur Betriebssicherheit beiträgt,
sollte nicht in Abrede gestellt oder hinterfragt ­werden.

Umdenken bei der Beschaffung?

Vielmehr will der Verfasser zu einem Umdenken bei der Beschaffung in der Fahrzeug- und Gerätetechnik anregen. Manchmal ist weniger in der Tat auch mehr.

  • Brauchen wir bei kommunalen Feuer­wehren wirklich Schaumzumischanlagen wie in der Industriebrandbekämpfung? Schaum-Druckzumisch- und Vormischanlagen, die auf den Milliliter genau zumischen? Oder kommen wir bei den Einsätzen in der Regel mit unserem herkömmlichen Zumischern (Venturirohren) nicht mehr aus?
  • Brauchen wir wirklich automatische Pumpensteuerungen, die den Durchfluss berechnen, damit die Zumischanlage die absolut perfekte Zumischrate liefert?
  • Brauchen wir Wägezellen, die uns das Gewicht der Löschmittelbehälter und deren aktuellen Inhalt auf eine digitale Anzeige im Pumpenpaneel übertragen?
  • Wollen wir überhaupt, dass über Potentiometer die Drehzahl der Pumpe geregelt wird? Oder reicht uns ein herkömmliches Handgas mit einem Bowdenzug?

Das Geschilderte soll nur Beispielcharakter haben und legt keinen Wert auf Vollständigkeit.

„back to basics“

So sollte das Schlagwort in den Feuerwehren lauten. Es gibt den Mitgliedern in den Feuerwehren, egal ob Berufs-, Werk- oder Freiwilligen Feuerwehren, wieder Bezug zu ihrer Arbeit im Übungs- und im Einsatzdienst.

Back to basics führt dazu, dass sich die Angehörigen der Feuerwehren wieder sicherer im Umgang mit ihrem Handwerkszeug fühlen. Im Nacken zu haben, dass der Einsatzerfolg von einer verspielten Elektronik abhängig ist, macht das Ganze nicht ausfallsicherer.

Das bedeutet auch Kostenersparnis bei der Beschaffung sowie bei der Wartung und Instandsetzung im laufenden Betrieb.

Ausfallzeiten der Einsatzfahrzeuge werden mini­miert und somit unter Umständen das kosten­intensive Beschaffen von einem Leihfahrzeug vermieden.

Die meisten Ausfälle von Löschfahrzeugen
im Einsatz- und Übungsdienst sind, nach Erfahrungen des Autoren, auf elektronische Fehler oder Fehlfunktionen durch die Elektronik zurück zu führen.

In den wenigsten Fällen gibt es bei Löschfahrzeugen einen Pumpenausfall durch mechanische Zerstörung.

Haltbarkeit

Bei manchen Feuerwehren sind Fahrzeuge, die älter als 30 Jahre sind, noch im Einsatzdienst. Die Fahrzeuge haben den gleichen Einsatzwert wie die High-Tech-Fahrzeuge des 21. Jahrhunderts. Das sind zwar schon Oldtimer, aber die Frage, die man sich stellen muss, ist: Werden unsere High-Tech-Fahrzeuge auch noch Oldtimer?

Oder müssen wir uns vorher von diesen Fahrzeugen trennen? Vielleicht ist die schnelllebige Computer- und Elektronikindustrie ja überhaupt nicht in der Lage, uns über 20 Jahre – vielleicht auch über 30 Jahre – mit adäquaten Ersatzteilen zu versorgen.

„Back to basics“ – darüber nachzudenken, lohnt sich ganz bestimmt!

Udo-Helmut Herrmann

Wie sind Ihre Erfahrungen?

Haben Sie so einen Ausfall der elektronischen Steuerung der Feuerlöschkreiselpumpe schon erlebt?
Wie wurde das Problem vom Maschinsten gelöst?
Wie hat sich Ihre Feuerwehr dem Thema gestellt?
Wir möchten Ihre Meinung zu diesem Thema ­wissen!

Schicken Sie uns am besten eine E-Mail an redaktion@feuerwehr-ub.de
Stichwort: Back to basics

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