Belastungen bei der Feuerwehr: PSNV und deren Möglichkeiten

2024_04

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Nicht nur Verbrennungen und ähnliche Verletzungen machen Einsatzkräften zu schaffen. Schlimm sind oft auch die psychischen Nachwirkungen. Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) bei der Feuerwehr hilft  dabei, belastende Einsätze zu verarbeiten. Hier lesen Sie alles zu den praktischen Anwendungsmöglichkeiten.

PSNV bei der Feuerwehr
Nach belastenden Einsätzen oder Ereignissen ist es oft schwer, die Geschehnisse zu verarbeiten. Hier setzt die Psychosoziale Notfallversorgung an (Symbolbild). Foto: (c) Anja – stock.adobe.com

Feuerwehrleute müssen in ihrer täglichen Arbeit auch hin und wieder mit Extremsituationen zurechtkommen – gleichzeitig werden Notfälle und Katastrophen niemals zur Routine. Zwar kann durch Einsatzübungen der Ernstfall trainiert werden, die psychische Herausforderung lässt sich dabei jedoch nur schwer „simulieren“. So sehen sich die Einsatzkräfte während und nach dem Einsatz z. T. mit großen psychischen Belastungen konfrontiert. In manchen Fällen helfen schon Gespräche mit den am Einsatz beteiligten Kameradinnen und Kameraden. Doch manchmal hat man länger an den Geschehnissen zu knabbern. Und an dieser Stelle sorgt die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Unterstützung. Wir haben uns für Sie deren Entstehungsgeschichte und praktische Anwendungsmöglichkeiten angesehen und in einem kurzen Fachartikel zusammengestellt.

  1. PSNV-B und PSNV-E
  2. PSNV-Lehrgang für Feuerwehrleute
  3. Psychosoziale Notfallversorgung beginnt mit der Sensibilisierung vor dem Einsatz
  4. DGUV 205-038: Leitfaden PSNV für Einsatzkräfte
  5. Psychische Belastung muss nicht mit einem Katastrophenfall zusammenhängen

PSNV-B und PSNV-E

Grundsätzlich wird die Psychosoziale Notfallversorgung in zwei Bereiche unterteilt: die Betreuung der Betroffenen, also verletzten Personen, deren Angehörigen und Ersthelfenden, (PSNV-B) einerseits und der Einsatzkräfte (PSNV-E) andererseits. Letztere ist mit Blick in die Vergangenheit noch ein relativ junges Phänomen. Denn erst das Flugschau-Unglück auf der Militärbasis in Ramstein am 28. August 1988 gilt als Anstoß für die moderne Psychosoziale Notfallversorgung.

Bei dieser Katastrophe kamen laut offiziellen Berichten 70 Menschen ums Leben und über 1.000 wurden verletzt, als ein Flugzeug des Typs Aermacchi MB-339 nach Kollision mit zwei weiteren Flugzeugen einer Kunstflugstaffel in die Zuschauermenge stürzte. Im Anschluss konnten viele der Opfer nur noch tot geborgen werden. Die Schwere der Katastrophe und die zu diesem Zeitpunkt nicht vorhandene Psychosoziale Notfallversorgung der Betroffenen und Einsatzkräfte führte bei verhältnismäßig vielen Personen, besonders im Kreise der Feuerwehrleute, zu posttraumatischen Belastungsstörungen.

Eine Folge davon war, dass die Bundesrepublik die erste Nachsorgegruppe einrichtete, die sich mit ihrer Arbeit allen Betroffenen, aber speziell auch den Feuerwehrleuten, widmete. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich diese Arbeit dynamisch weiter, sodass zum heutigen Zeitpunkt jede Organisation, egal ob Feuerwehr, THW, DLRG u. a. über eigens hierfür geschultes Personal verfügt.

Bereits knappe 10 Jahre nach dem Katastrophenfall in Ramstein zeigten die neu geschaffenen Strukturen der Psychosozialen Notfallversorgung ihre Stärken und ihre Notwendigkeit. So gab es auch und gerade für die Einsatzkräfte nach dem Zugunglück in Eschede am 3. Juni 1998 bereits umfangreiche Versorgungsangebote.

Historisch gewachsen bzw. aus der Tradition einzelner Organisationen heraus sind neben PSNV auch noch weitere Begriffe gebräuchlich, z.B. die Psychosoziale Unterstützung (PSU) oder die Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE). Oft arbeiten die PSNV-Teams der Feuerwehren z. B. unter der Bezeichnung Einsatznachsorgeteam (ENT). Als begrifflicher Vorläufer der PSNV-B ist auch die Krisenintervention (KIT) nach wie vor häufig genutzt. Die meist von Kirchen bzw. Stiften geleistete Unterstützung ist die Notfallseelsorge (NFS). Sie ist durch den unterschiedlichen Ansatz als zusätzliches oder alternatives Angebot zur Peer-gestützten PSNV zu verstehen.

Kirchliche Notfallseelsorge
Zusätzlich zur PSNV gibt es die Notfallseelsorge von Kirchen und Stiften (Symbolbild). Foto: (c) benjaminnolte – stock.adobe.com

PSNV-Lehrgang für Feuerwehrleute

Bei der Feuerwehr, aber auch in anderen Bereichen des Rettungswesens, findet die Ausbildung der PSNV-Hilfskräfte nach dem sog. Peer-Prinzip statt: Dabei stammen die Betreuerinnen und Betreuer stets aus den eigenen Reihen und wissen somit aus eigener Erfahrung, welche speziellen Belastungen der Feuerwehrdienst bereithält. Dadurch können sie den Leidtragenden von Anfang an auf Augenhöhe begegnen und ihnen das Gefühl geben, verstanden zu werden. Das Leistungsspektrum ihrer Arbeit reicht von sog. Nachsorgegesprächen bis zur Vermittlung an Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Mittlerweile haben sich aber in der Praxis auch offenere und individuellere Vorgehensweisen bewährt. Je nach Betroffenen und Team finden auch gemeinsame Ausflüge oder ausgelassene Abendveranstaltungen Anklang, diese lenken ab und helfen bei der Stressbewältigung. Und dabei ist Eines ganz entscheidend: Nahezu jeder Mensch durchläuft in seinem Leben psychische Krisen und hat dabei eigene Bewältigungsstrategien entwickelt. Besonders Einsatzkräfte arbeiten gegenüber „herkömmlichen“ Berufszweigen oft am Limit menschlicher Möglichkeiten. Deshalb ist es absolut normal, dass einige Erlebnisse „zu nahe“ gehen. Gerade das zeigt, dass Rettungskräfte empathisch und mit Leib und Seele ihrer Arbeit nachgehen.

Die Kameradinnen und Kameraden, die sich zu Peers für die PSNV ausbilden lassen, werden meist zusätzlich als psychosoziale Fachkraft geschult. D. h., dass auf Landesverbandsebene entsprechende Lehrgänge stattfinden (z. B. als „Hilfe für Helfer“). Diese Weiterbildungen bestehen aus Modulen, die auf dem internationalen Standard für Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen („Critical Incident Stress Management“, CISM) basieren.

Psychosoziale Notfallversorgung beginnt mit der Sensibilisierung vor dem Einsatz

Ein großer Punkt bei seelischen Belastungen ist nach wie vor die Tabuisierung derartiger Thematiken, auch im Bereich der Feuerwehren und übrigen Hilfsorganisationen. Dabei sind offener Diskurs und zeitnahes Handeln nach dem belastenden Einsatz wichtige, wenn nicht notwendige Mittel, um die Betroffenen vor einem schweren Verlauf und/oder langfristiger Beeinträchtigung zu bewahren.

Manche Wehren halten deshalb quartalsweise kurze Impulsvorträge zu dem Thema Stress, Belastung und PSNV bei der Feuerwehr ab. Zusätzlich wird bei der Einsatznachbesprechung gezielt darauf hingewiesen, dass durch das erlebte Einsatzgeschehen möglicherweise physische oder psychische Belastungen auftreten könnten. Trifft dies zu, so ist es Betroffenen möglich, direkt im Anschluss auf Vertrauensbasis unverbindlichen Kontakt zur psychosozialen Fachkraft aufzunehmen.

Besonders Einsätze mit schwerverletzten oder verstorbenen Personen werden von vielen Einsatzkräften als belastend empfunden.(Symbolbild). Foto: (c) Sven Grundmann – stock.adobe.com

DGUV 205-038: Leitfaden PSNV für Einsatzkräfte

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat im November 2020 einen Leitfaden über die Ursachen, den Umgang mit und die Folgen von psychischer Belastung bei Einsatzkräften herausgegeben, der auf dem Leitfaden „Psychosoziale Notfallversorgung für Feuerwehrangehörige“ der Feuerwehrunfallkassen HFUK Nord, FUK Mitte und FUK Brandenburg basiert. Deren Slogan 2013 war: „Wer helfen will, der soll auch Hilfe zulassen“.

Wer helfen will, soll Hilfe zulassen
In Einsatznachbesprechungen sollte darauf hingewiesen werden, dass ein Einsatz physisch und psychisch nachwirken kann (Symbolbild). Foto: (c) Werner – stock.adobe.com

Konkret formuliert der Leitfaden vier Kernelemente psychosozialer Notfallversorgung:

  1. Erkennen – hier liegt die Verantwortung bei den Einsatzleitern/-innen, Gruppen- oder Zugführer/-innen und der Wehrleitung. Sie sollten dafür sensibilisiert werden, wann bestimmte Einsätze ungewohnt große Belastungen mit sich bringen und welche Kameradinnen und Kameraden davon betroffen sein könnten.
  2. Beurteilen – die eigene Einschätzung kann bei Traumata und seelischen Leiden oft eingeschränkt sein. Daher ist es wichtig, durch Informationsabende und -material die gesamte Mannschaft über etwaige Symptome aufzuklären.
  3. Handeln – falls erkannt und die Lage entsprechend eingeschätzt wurde, heißt es handeln. Denn die PSNV bei Feuerwehrleuten ist besonders zeitsensibel, da es jederzeit zu einem weiteren ähnlich gearteten Einsatz (z. B. Autounfall mit Todesfolge) kommen kann und somit das Trauma weiter verstärkt werden könnte.
  4. Helfen – oft wollen sich Betroffene nicht helfen lassen, deswegen muss hier unbedingt Feingefühl bewiesen werden.

→ Die Hilfe externer Kooperationspartner wie katholischer oder evangelischer Seelsorger/-innen (Notfallseelsorge, NFS) ist oft eine gute Möglichkeit, um Feuerwehrmännern und Feuerwehrfrauen die Möglichkeit zu geben, abseits ihres Arbeitsumfeldes über psychische Belastungen zu sprechen. In der Regel sind die PSNV-Teams auch überörtlich im Einsatz, sodass Betroffene mit Peers sprechen können, die nicht zu ihrer eigenen Wehr gehören. Auch gibt es seit 2010 landeseigene Anlaufstellen für die Psychosoziale Notfallversorgung von Feuerwehrleuten, die regionalunabhängig für derartige Anliegen jederzeit ansprechbar sind.

Überörtliche PSNV-Teams
PSNV-Teams sind oft überörtlich unterwegs, sodass Feuerwehrleute auch mit Peers außerhalb ihres gewohnten Umfelds reden können (Symbolbild). Foto: (c) Monkey Business – stock.adobe.com

Psychische Belastung muss nicht mit einem Katastrophenfall zusammenhängen

Es muss nicht erst zu extremen Unfällen, Katastrophen oder gewaltsamen Übergriffen kommen, damit Feuerwehrleute seelischen Stress empfinden. Langsam oder schleppend können alltägliche „kleine“ Herausforderungen zu einer letztlich starken Belastung führen. Dabei können sowohl physische Schmerzen, die unbehandelt mit der Zeit stärker werden, als auch individuelle Trigger (z. B. Höhenangst) auf längere Sicht zu Belastungserscheinungen führen.

Johannes Morelli,
Online-Redaktion

Quellen
FEUERWEHR-UB 1-2/2022
FEUERWEHR-UB 10/2020
www.feuerwehrverband.de
www.stmi.bayern.de
www.hfuknord.de

 

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