Umweltschutz an erster Stelle: Analytische Task Force

2024_05

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Bei Einsatzlagen mit CBRN-Stoffen (chemische, biologische, radioaktive und nukleare Stoffe) sind schnelle Informationen zu den freigesetzten Stoffen entscheidend. Dazu kann seit dem Jahr 2007 die Analytische Task Force CRN unterstützend angefordert werden. Auch eine ATF Biologie (ATF-B) ist im Aufbau.


Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 1-2/2020

Rat: Die ATF liefert wichtige Informationen für die Planung von Gefahrguteinsätzen.
Rat: Die ATF liefert wichtige Informationen für die Planung von Gefahrguteinsätzen. Foto: Michael Krause

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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) misst dem Schutz der Bevölkerung vor sog. CBRN-Gefahren hohe Bedeutung bei. Werden bei einem Ereignis gefährliche Substanzen freigesetzt, sind in erster Linie die Gefahrgutzüge (LZ-G) der Feuerwehren zuständig. Zusätzlich werden die vom BBK für die Bundesländer bereitgestellten CBRN-Erkundungsfahrzeuge und/oder die Gerätewagen Dekontamination Personal (GW Dekon P) eingesetzt. Neben der Menschenrettung und der Beseitigung der akuten Gefahrenquelle, z. B. durch die Abdichtung von Leckagen, müssen schnell genaue Informationen über die Art der gefährlichen Stoffe und deren Auswirkungen beschafft werden. Um die Einsatzleiter der Feuerwehren optimal unterstützen zu können, wurde in Deutschland die sog. Analytische Task Force CRN (ATF CRN) eingerichtet

Analytische Task Force CRN (ATF CRN)

Zur ATF CRN gehören insbesondere für die Bewältigung von CBRN-Lagen ausgebildete Einsatzkräfte sowie spezielle Messtechnik. Ihr Personal setzt sich aus Bediensteten der Städte und Länder zusammen. Das BBK stattet die ATF-Standorte mit der benötigten Messtechnik sowie mit Einsatzfahrzeugen aus, koordiniert die Spezialausbildung und beteiligt sich an den Unterhaltskosten der Standorte. Aktuell sind die Berufsfeuerwehren Hamburg, Mannheim, Dortmund, Köln, Leipzig und München sowie das Landeskriminalamt Berlin ATF-Standorte.Jeder Einsatzleiter kann bei CBRN-Lagen zur besonderen Unterstützung die Amtshilfe der ATF anfordern. Eine ATF-Einheit soll in einem Radius von 200 km um den jeweiligen Standort innerhalb von etwa drei Stunden nach Alarmierung Hilfe und Unterstützung leisten können. Diese Reaktionszeit ist, verglichen mit denen anderer in Deutschland verfügbarer CBRN-Spezialkräfte, kurz und stellt eine besondere Fähigkeit der ATF dar. Das Konzept der Analytischen Task Force wurde eingehend auf seine Praxistauglichkeit geprüft. Bereits in der Pilotprojektphase von 2004 bis 2006 bewies die ATF in verschiedenen nationalen und internationalen

Analytische Task Force Biologie (ATF-B)

Um auch biologische Gefahrenlagen bewältigen zu können, hat das BBK mit dem Aufbaueiner ATF-B begonnen. Zunächst wurden in einem Pilotprojekt zu Grundlagen und Konzept für die Etablierung von 2012 bis 2015 zwei Standorte in Berlin und Essen eingerichtet. Mit der Praxisphase ab Juli 2015 kam der dritte Standort München dazu. Aufgabenschwerpunkte der ATF-B sind die Probenentnahme und die Beratung der Einsatzleitungen bei der Gefährdungsbewertung vor Ort. Darüber hinaus soll eine B-Detektionsfähigkeit aufgebaut und weiterentwickelt werden. Damit könnte die ATF-B im Rahmen der gerätetechnischen Möglichkeiten direkt vor Ort eine vorläufige Detektion bestimmter biologischer Agenzien durchführen. Das Einsatzspektrum der ATF-B umfasst Gefahrenlagen, die durch die Freisetzung biologischer Agenzien hervorgerufen werden. Dabei steht auch sog. „Bioterrorismus“ im Fokus. Ein Einsatz im Rahmen eines natürlichen Seuchengeschehens gehört nicht zu den primären Aufgaben der ATF-B, sie kann jedoch in Amtshilfe unterstützend tätig werden. Die Bewältigung einer biologischen Gefahrenlage ist eine Herausforderung für Akteure aus verschiedenen Ressorts. Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen den für die Gefahrenabwehr zuständigen Institutionen (Feuerwehr, Polizei) mit den Einrichtungen für Gesundheitsschutz wichtig. Es obliegt den Trägern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor gesundheitsgefährdenden Einflüssen, z. B. vor Infektionskrankheiten, zu ergreifen.

Dieser Beitrag erschien in FEUERWEHR 1-2/2020.
Hier finden Sie einen Auszug der Ausgabe mit dem Einsatzbericht als PDF:

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Die ATF Hamburg

Die Einsatzleitung der ATF–Einheit der BF Hamburg obliegt der Sachgebietsabteilung F 02-130. Der Leiter dieser Spezialgruppe ist Brandrat Dipl.-Ing. Frederik Kötke mit seinem Stellvertreter Brandrat Knut Storm, mit denen wir uns über die Aufgaben der CBRN-Gefahrenabwehr Hamburg austauschen konnten. In den frühen Jahren des Katastrophenschutzes war der Begriff ABC-Abwehr (Schutzmaßnahmen gegen die Wirkung atomarer, biologischer und chemischer Stoffe) allgemein üblich. 1998 wurde der erweiterte Katastrophenschutz neu strukturiert. Dazu zählten auch die Speziallehrgänge an der KatS-Schule in Ahrweiler. Nach einer bundesweiten Erfahrungs- und Probephase des BBK ging der Standort Hamburg 2005 in den Dienstbetrieb. Schon zuvor betrieb die Feuerwehr Hamburg eine Gefahrenabwehr mit einem Erkundungsfahrzeug auf MB-Sprinter und dem mit der TUHH (Technische Universität Hamburg- Harburg) entwickelten SIGIS-System (Scannendes zur Fernerkundung von Schadstoffen. Dieses Fahrzeug steht als Reserve noch im Einsatzdienst. Zur Einrichtung der verschiedenen, bundesweiten Standorte wurden zahlreiche neue Fahrzeuge des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Dienst gestellt.

Erkennungsmerkmal: Zeichen der ATF Hamburg.

Erkennungsmerkmal: Zeichen der ATF Hamburg. Foto: Michael Krause

Aufgabenspektrum

In Hamburg führt die ATF ihre Arbeit zusammen mit dem U-Dienst (Umweltdienst) durch. Der Aktionsradius um den Standort beträgt ca. 280 km. 2018 wurde die ATF 69- mal in Hamburg und sechsmal überörtlich angefordert. Zusätzlich wurden telefonische Beratungen geleistet. Denn nicht immer rückt die ATF zu den Einsatzlagen aus, sondern arbeitet in drei Stufen: Beratung per Funk oder Telefon, Erkundung und schließlich Volleinsatz vor Ort mit Labor und Analyseteam sowie entsprechender Ausrüstung. Der Standort Hamburg ist auch für Analyseauswertungen aufgestellt. Dadurch kam es z. B. vor, dass Proben aus einem beschädigten Container zur Untersuchung und Einschätzung von Bremerhaven nach Hamburg gefahren wurden, um letztendlich Entwarnung geben zu können. Die ATF wird z. B. auch gerufen, wenn Personen Atemwegsreizungen erleiden und der verursachende Stoff auf seine Eigenschaften hin analysiert werden muss, um weitere Maßnahmen anzustreben. Der Standort Hamburg ist ein CRN-, kein CBRN-Standort, also nicht für biologische Gefahrstoffe eingerichtet. Er ist zwar darauf vorbereitet, doch die Investitionen des Bundes (genauer: des BBK) stehen noch aus. Zusammengefasst beinhaltet die Arbeit der ATF die

  •  Detektion gefährlicher Stoffe und Güter,
  •  Schadstoff-Fernerkennung und –erkundung mit SIGIS-System,
  •  Lokalisierung und Identifizierung luftträglicher Schadstoffe,
  •  Situationsbewertung bzw. Analyse bei toxikologischen Aspekten sowie
  •  Einschätzung der Lagesituation und Vorschläge für erweiterte Einsatzmaßnahmen.

Dabei stellt die überörtliche Zusammenarbeit mit den Gefahrgutzügen und Erkundungseinheiten der Kreis- und Landesverbände einen wesentlichen Bestandteil der Gefahrenabwehr dar. Bei nationalen Großübungen (ATFEX) werden regelmäßig der Wissensstand und die Erfahrungen in theoretischen und praxisnahen Darstellungen ausgetauscht bzw. verbessert. Auch Analysegeräte und -ausrüstungen werden kontinuierlich optimiert.

Kontaktlos: Die Glove- Box ermöglicht ein sicheres Arbeiten mit den entnommenen Proben.
Kontaktlos: Die Glove-Box ermöglicht ein sicheres Arbeiten mit den entnommenen Proben. Foto: Michael Krause

ATF-Übung im Chemiewerk

Die Analytische Task Force Hamburg (ATF) führte im November 2019 eine groß angelegte Übung in einem Chemiewerk in Stade (NI) durch. Dabei wurden die Zusammenarbeit mit den örtlich zuständigen Einsatzkräften sowie Abläufe innerhalb der ATF geübt. Bei dem Übungsszenario auf dem Gelände der Firma Dow war es zu einer Havarie in einer chemischen Anlage gekommen, aus der infolgedessen flüssige und gasförmige Gefahrstoffe austraten. Durch eine Verpuffung ereignete sich im direkten Umfeld ein Unfall bei Verladearbeiten. Dabei traten aus mehreren Fässern flüssige und feste Gefahrstoffe aus, deren Dämpfe zwei Arbeiter verletzten. Einsatz der Werkfeuerwehr Die Werkfeuerwehr rettete die verletzten Personen aus dem Gefahrenbereich, dekontaminierte diese und übergab sie dem Rettungsdienst. Im weiteren Verlauf wurden Dämpfe aus der havarierten Anlage mit einem Wasserschleier niedergeschlagen und die betroffenen Anlageteile abgeschiebert. Die WF rief neben dem örtlich zuständigen Gefahrgutzug der Kreisfeuerwehr Stade die ATF Hamburg zur Unterstützung, da unklar war, welche chemischen Reaktionsprodukte entstanden waren. Nach Eintreffen der unterstützenden Kräfte wurden zunächst ein Trupp der WF und ein Trupp der öffentlichen Fw unter Fachberatung der ATF zur Erkundung entsendet. Einer der Trupps untersuchte die Schäden in der Anlage, während der zweite Trupp die leckgeschlagenen Fässer überprüfte.

Umweltzug LK Stade: Die Wehren des Landkreises rückten u. a. mit einem GW-Messen-Spüren an.
Umweltzug LK Stade: Die Wehren des Landkreises rückten u. a. mit einem GW-Messen-Spüren an. Foto: Michael Krause

Umfassende ATF-Analytik

Seitens der ATF lag dabei besonderes Augenmerk auf möglichst detaillierten Informationen zu den havarierten Stoffen und deren Mengen. Die Trupps erstellten Fotos von den Austrittsstellen, suchten nach Gefahrgutkennzeichnungen und schilderten die Aggregatzustände der Stoffe. Parallel dazu führten weitere ATF-Einsatzkräfte eine Fernerkundung mit dem Infrarotfernerkundungsgerät SIGIS 2 durch. Damit können Gefahrstoffwolken in der Atmosphäre detektiert und dargestellt werden. Die Einsatzkräfte stellten einen gasförmigen Stoffaustritt auf dem Dach der Anlage in ca. 20 m Höhe fest. In Verbindung mit einer Ausbreitungsberechnung konnten die ATF Kräfte den Gefahrenbereich festlegen und Empfehlungen für weitere Maßnahmen an die Einsatzleitung weitergeben. Eine der zentralen Aufgaben der ATF ist die Erstellung einer Probennahmestrategie. Diese wird basierend auf den Erkundungsergebnissen zu Art und Menge der Gefahrstoffe, der davon ausgehenden Gefährdung sowie der analytischen Möglichkeiten erarbeitet. Die Strategie gibt vor, in welcher Reihenfolge welche Arten von Proben der Gefahrstoffe zu nehmen sind. Bei der Übung lag der Schwerpunkt auf der Analytik jenes Stoffes, der die Arbeiter verletzt hatte. Durch dessen Identifizierung konnten entsprechende Handlungsempfehlungen für die medizinische Versorgung an die behandelnden Ärzte weitergegeben werden. Anschließend wurden weitere Stoffe untersucht. Ein drittes ATF-Team brachte dazu den Abrollbehälter Analytik (AB-Analytik) in Stellung und bereitete sich auf die Entgegennahme von Gefahrstoffproben vor. Neben einem Gaschromatographen stehen der ATF mehrere handgetragene Geräte zur Verfügung, darunter ein FTIR-Spektrometer (Fourier- Transform-Infrarotspektrometer) und ein Raman-Spektrometer. In der sog. Glove-Box können die Proben aufbereitet und analysiert werden, ohne die Einsatzkräfte zu gefährden. Weitere Einsatzkräfte der ATF führten eine Stoffrecherche durch und prüften die Plausibilität der Analyseergebnisse. Anschließend wurden die Ergebnisse in einem Lagevortrag für die Einsatzleitung zusammengefasst und Empfehlungen für weitere Maßnahmen ausgetauscht. Die umfangreiche Übung war ein Erfolg und konnte zeigen, dass das Konzept der Analytischen Task Force aufgeht. Auch die Zusammenarbeit von Werkfeuerwehr, örtlicher Feuerwehr mit dem Umweltzug und der ATF Hamburg funktionierte. Die eng aufeinander abgestimmte Hand-in-Hand-Arbeit ist von großer Wichtigkeit bei solchen Schadenlagen. Schließlich gilt es dabei, neben Sachwerten in erster Linie Menschen zu schützen und dazu notwendige Maßnahmen schnell und wirkungsvoll durchzuführen.

Michael Krause, BBK,

Dipl-Ing. Brandrat Frederik Kötke

 

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